Was Spielehersteller aus dem E-Commerce lernen müssen
Der digitale Handel hat in den letzten Jahren eine Effizienz erreicht, von der viele Games-Studios noch weit entfernt sind. Während im E-Commerce alles auf strukturierte Datenflüsse, automatisierte Abläufe und kanalübergreifende Konsistenz ausgerichtet ist, dominiert in der Spielebranche oft noch Handarbeit. Doch wer digitale Produkte vertreibt, steht vor denselben Herausforderungen wie Onlinehändler. Wer als Publisher oder Studio weiterkommen will, muss verstehen: Verkaufsprozesse lassen sich nicht nur kreativ, sondern auch systematisch optimieren.
Schnelligkeit schlägt Timing
Im E-Commerce zählt nicht der perfekte Launch, sondern die Fähigkeit, schnell zu reagieren. Neue Produkte, saisonale Kampagnen, veränderte Preise – was am Vormittag geplant wird, geht am Nachmittag live. Spielehersteller dagegen planen mit langen Vorläufen, fixen Releasetagen und starren Meilensteinen. Doch gerade digitale Plattformen wie Steam, Epic oder eigene Webshops bieten längst die Möglichkeit, schneller und dynamischer zu agieren. Wer bereit ist, seine internen Prozesse anzupassen, kann auf Community-Feedback schneller eingehen, Bugs gezielter adressieren und Content flexibler ausspielen. Diese Agilität unterscheidet heute den Überflieger vom Spätstarter.
Conversion beginnt vor dem Kauf
Produktseiten im E-Commerce sind längst psychologisch optimiert: klare Struktur, Vertrauenselemente, dynamische Inhalte, mobil perfekt abrufbar. Im Gaming wirken viele Store-Auftritte dagegen wie technische Datenblätter. Hier liegt Potenzial. Screenshots, bewegte Trailer, Feature-Tabellen und User-Feedback erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem Interessenten ein Käufer wird. Auch der Pre-Sale-Bereich bietet Raum für Optimierung: Bonus-Inhalte, Countdown-Timer oder limitierte Editionen wirken nicht nur im physischen Handel – sie funktionieren genauso digital. Wer hier vom Onlinehandel lernt, bringt Spiele nicht nur an den Start, sondern ins Gespräch.
Cross-Channel-Strategie statt Plattform-Denken
Moderne E-Commerce-Marken denken nicht mehr in Einzelkanälen, sondern orchestrieren ihre Präsenz über alle Touchpoints. Website, Marktplatz, Newsletter, Social Media – überall dieselbe Botschaft, dieselbe Sprache, dieselben Inhalte. Spielehersteller hingegen betreiben oft parallel gepflegte Steam-Seiten, SoMe-Accounts, Discord-Server und Webshops – mit voneinander abweichenden Informationen. Das kostet Vertrauen und Sichtbarkeit. Eine kanalübergreifende Strategie schafft dagegen Wiedererkennbarkeit, stärkt die Marke und verbessert das Nutzererlebnis. Der E-Commerce zeigt, wie man mit einem zentralen Ansatz mehr Wirkung entfaltet.
Service = Teil des Produkts
Während Onlinehändler längst Support und Logistik als Teil ihres Markenkerns begreifen, wird im Gaming-Sektor der Kundenkontakt oft ausgelagert – oder vernachlässigt. Dabei entscheiden sich viele Spieler nicht nur wegen eines guten Trailers für ein Spiel, sondern auch wegen Erreichbarkeit, Reaktionsgeschwindigkeit und Kulanz. Automatisierte Rückmeldungen, Self-Service-Portale oder Live-Chat-Angebote setzen Standards, an denen sich auch Studios messen lassen müssen. Wer den gesamten Kundenzyklus denkt – vom ersten Interesse bis zur DLC-Nachversorgung –, wird zum Anbieter statt nur zum Entwickler.
Checkliste: Was die Gaming-Branche vom Onlinehandel übernehmen kann
Bereich | Übertragbare Praxis |
---|---|
Produktpflege | Zentrale Datenstrukturen, klare Versionslogik |
Kundenkommunikation | Proaktive FAQ, Automatisierung, Self-Service |
Store-Optimierung | Conversion-orientiertes Layout mit Rich Media |
Release-Strategie | Flexible Veröffentlichungsmodelle & Echtzeit-Anpassung |
Content-Distribution | Einheitliche Inhalte über alle Plattformen hinweg |
Community-Integration | Nutzerfeedback für Feature-Entwicklung nutzen |
Analyse & KPIs | Laufende Performance-Messung aller Produktseiten |
Interview: „Die Spielebranche denkt oft zu sehr in Assets, nicht in Prozessen“
Anja Schubert ist Produktmanagerin bei einem internationalen PC- und Konsolenpublisher mit Fokus auf Narrative Games.
Was war dein Aha-Moment beim Blick in den E-Commerce?
„Als ich gesehen habe, wie exakt dort geplant wird, wann welcher Content wo auftaucht – und wie wenig dem Zufall überlassen wird. Das fehlt oft im Games-Marketing.“
Wo sieht die Spielebranche ihre größten Schwächen?
„In der internen Organisation. Viele Assets entstehen doppelt, Kommunikation läuft über E-Mails, und es gibt keine gemeinsame Datenbasis. Das kostet Zeit – und Qualität.“
Was ist aus deiner Sicht übertragbar?
„Die Art, wie E-Commerce-Kampagnen durchgetaktet sind. Da ist jede Landingpage vorbereitet, jedes Visual auf Conversion geprüft. Diese Denke fehlt uns oft.“
Wie wirkt sich das auf die Spielverkäufe aus?
„Stark. Wenn Trailer und Produktseiten nicht zusammenpassen oder Informationen fehlen, verlieren wir potenzielle Käufer – noch bevor sie zum Kaufen kommen.“
Welche Rolle spielt Datenpflege im Alltag?
„Eine größere, als viele denken. Produktbeschreibungen, Systemvoraussetzungen, Alterseinstufungen – alles muss exakt stimmen. Sonst entstehen unnötige Supportfälle.“
Wie siehst du die Zukunft für mittlere Studios?
„Wer sich jetzt professionell aufstellt, kann mit schlanken Teams viel erreichen. Es geht nicht um mehr Leute – es geht um bessere Abläufe.“
Was würdest du Indie-Studios raten?
„Nicht alles selbst machen wollen. Lieber früh auf standardisierte Tools setzen – und sich inspirieren lassen, wie E-Commerce-Marken arbeiten.“
Struktur schlägt Glückstreffer
Gute Spiele verkaufen sich nicht von selbst. Wer als Studio wachsen will, muss das Handwerk des digitalen Handels beherrschen. Nicht jede Idee wird zum Hit – aber jede Veröffentlichung kann professionell vorbereitet und effizient begleitet werden. Die Learnings aus dem E-Commerce liefern dafür keine Wundermittel, aber belastbare Strukturen. Wer sie ernst nimmt, gewinnt Zeit, Übersicht – und Marktanteile.
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